unversehrt
Schutz vor FGM/C
Eine virtuelle Reise durch
Sierra Leone und Deutschland
Deutschland
weltweit
Sierra Leone
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Schutz vor FGM/C
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weltweit
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FGM/C weltweit
Weibliche Genitalverstümmelung (engl. Female Genital Mutilation/Cutting oder kurz FGM/C) bezeichnet die teilweise oder vollständige Entfernung der äußeren weiblichen Genitalien oder andere Verletzungen der weiblichen Genitalorgane ohne medizinische Gründe.
Meist wird der Eingriff an Mädchen zwischen dem Säuglingsalter und 15 Jahren vorgenommen, aber auch an erwachsenen Frauen.
Typ I – Klitoridektomie: teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut.
Typ II – Exzision: der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris und die inneren Vulvalippen werden teilweise oder vollständig entfernt. Mitunter werden auch die äußeren Vulvalippen verstümmelt.
Typ III – Infibulation: schwerste Form von FGM/C. Die Klitoris(vorhaut) und Vulvalippen werden entfernt und die Wunde bis auf ein kleines Loch zugenäht. Durch dieses sollen Urin und Menstruationsblut abfließen, aber keine Penetration möglich sein.
Typ IV – weitere Praktiken, die Schäden hinterlassen: alle weiteren, medizinisch nicht begründeten Eingriffe, welche die Vulva und Klitoris der Frau nachhaltig schädigen. Darunter fallen z.B. Ätzen, Brennen, Scheuern, Dehnen, Einritzen, Durchbohren, Einschneiden und das Auftragen von nervenschädigenden oder betäubenden Substanzen.
Praktiken wie Räuchern, Tupfen oder das Auflegen von magischen Gegenständen hinterlassen keine physischen Schäden, werden aber dennoch zur Kontrolle der weiblichen Sexualität ausgeübt.
Zehn Fakten
1 FGM/C wird in mindestens 92 Ländern – fast der Hälfte aller Länder weltweit – praktiziert. Es kommt auf allen Kontinenten außer in der Antarktis vor.
Warum wird FGM praktiziert?
Die meisten Begründungen fallen in einen der drei Bereiche:
1. Tradition / soziale Norm
FGM/C gilt häufig als kulturell bedingte Tradition und soziale Norm. Mancherorts ist FGM/C fester Bestandteil eines Übergangsrituals vom Mädchen- zum Frausein und wird als Vorbereitung von Mädchen auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter angesehen. Der Tradition zu folgen, ist Ausdruck des Respekts gegenüber früheren Generationen und ein Zeichen der Dankbarkeit für die eigene Herkunft. Mit einem alten Brauch zu brechen, kann als Affront gegenüber der Familie und den Vorfahren verstanden werden. Die Reaktionen darauf können sehr emotional bis hin zu lebensbedrohlich ausfallen.
2. Religion / spirituelle und sexuelle „Reinheit“
Oft werden religiöse Gebote und Ideale der spirituellen und sexuellen „Reinheit“ als Motivation für FGM/C angeführt. Dabei schreibt keine religiöse Schrift FGM/C vor. Trotzdem sind VertreterInnen verschiedener Religionen überzeugt, dass FGM/C Einklang zwischen dem Willen eines spirituellen Wesens und dem Menschen schaffen kann. Wirkungsmächtig in diesem Kontext können auch „medizinische Mythen“ sein, d.h. Moral- oder Hygiene-Vorstellungen von weiblicher Sexualität und dem weiblichen Genital. So wird etwa angenommen, erstere sei ohne FGM/C zügellos oder zweiteres ohne FGM/C schmutzig.
3. Ökonomische Gründe
FGM/C gilt meist als Voraussetzung für die Heirat und Familiengründung einer Frau. Ohne FGM/C haben Frauen schlechtere Heiratschancen und der Brautpreis fällt niedriger aus. In vielen Kontexten, in denen FGM/C vorkommt, sind die Strukturen so, dass alleinlebende und ggf. alleinerziehende Frauen ihre Existenz und die ihrer Kinder nicht unabhängig sichern können. Auch wird der gesellschaftliche Status einer Frau oft an ihrer Heirats- und Gebärfähigkeit festgemacht. Ohne FGM/C erfahren Frauen oft soziale Ausgrenzung und Diskriminierung.
Aus Sicht von MenschenrechtsverteidigerInnen wird FGM/C durchgeführt, um weibliche Sexualität und den weiblichen Körper zu kontrollieren und die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen zu unterdrücken. Ziel ist die Durchsetzung patriarchal motivierter Normen wie Jungfräulichkeit vor der Ehe, Monogamie bzw. Treue während der Ehe und eine Reduzierung der sexuellen Lust und des sexuellen Vergnügens der Frau.
FGM/C hat keine gesundheitlichen Vorteile für Mädchen und Frauen und kann nicht rückgängig gemacht werden. Alle Formen dieser Praktik können schwere physische, psychische und soziale Auswirkungen haben. FGM/C zählt zu den häufigsten Todesursachen in Ländern, in denen es praktiziert wird. Laut einer Studie der Universitäten Birmingham und Exeter in 15 afrikanischen Ländern aus dem Jahr 2023 sterben dort jährlich über 44.000 Frauen und Mädchen an FGM/C.
Die akuten und chronischen Folgen von FGM/C lassen sich in drei Bereiche einteilen. Das Ausmaß der Folgen hängt von verschiedenen Faktoren ab, u.a. von der Art der Verstümmelung (Typ I-IV), den verwendeten Instrumenten, der Umgebung, in der der Eingriff stattfindet, der Vorerfahrung der BeschneiderInnen und dem Gesundheitszustand der Betroffenen. Zu den häufigsten Folgen zählen:
Klicke auf die roten Markierungen oder auf die folgenden Überschriften
Folgen für die Psyche
- Todesangst während des Eingriffs
- Diverse Traumata, die v.a. mit Gefühlen von Verrat, Ohnmacht und Erniedrigung einhergehen, da die engsten Bezugspersonen der Betroffenen, meist die Eltern, FGM/C organisiert oder zugelassen haben, Dissoziation, posttraumatische Belastungsstörung etc.
- Gefühle von Unvollständigkeit und Minderwertigkeit
- Schlaf- und Angststörungen
- Nachlassende Konzentrationsfähigkeit, bei Jugendlichen oft mit einem Abfall schulischer Leistungen und dem Ende der Schullaufbahn verbunden
- Depressionen bis hin zu schlimmstenfalls Suizidalität
- Partnerschaftskonflikte
Folgen für den Körper
- Starke Schmerzen wegen der Durchtrennung des empfindlichen Genitalgewebes, in der Regel ohne Betäubung
- Unkontrollierbare Blutungen, v.a. wenn die Klitorisarterie oder ein anderes Blutgefäß durchtrennt wird
- Frakturen an Schlüsselbein, Oberarm- und Oberschenkelknochen durch das gewaltsame Festhalten der Betroffenen bei dem Eingriff
- Infektionen durch unsterile Bedingungen und Instrumente, u.a. Blutvergiftung, die zu einem septischen Schock und schließlich zum Tod führen kann
- Verletzungen benachbarter Gewebe, wie z.B. Vagina, Harnröhre und Damm
- Beeinträchtigte Wundheilung, gefährliche Gewebeschwellung und übermäßige Narbenbildung
- Beschwerden beim Urinieren, wie Schmerzen, Harnverhalt und Inkontinenz
- Menstruationsbeschwerden, z.B. schmerzhafte oder unregelmäßige Menstruation, sowie Störung des Abflusses von Menstruationsblut
- Geruchsentwicklung im Genitalbereich, u.a. bei Harn- und Stuhlinkontinenz
- Chronische Genitalinfektionen, in deren Folge Zysten, Abszesse und Genitalgeschwüre auftreten können
- Harnwegsinfektionen, die zu Nierenversagen führen können
- Erhöhtes Risiko einer HIV-Infektion durch die Verwendung der gleichen Instrumente bei mehreren Betroffenen von FGM/C ohne zwischenzeitliche Reinigung oder das erhöhte Risiko von Blutungen beim Geschlechtsverkehr
Folgen für die Sexualität/Fortpflanzung
- Beeinträchtigung der sexuellen Gesundheit und Empfindsamkeit, v.a. Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, vermindertes sexuelles Verlangen und Lustempfinden, verminderte Häufigkeit oder Ausbleiben des Orgasmus
- Chronische Entzündungen an Becken, Nieren und Eierstöcken, die zu Eileiterschwangerschaften und Unfruchtbarkeit führen können
- Geburtskomplikationen durch eine verengte und vernarbte Vaginalöffnung, u.a. erhöhtes Risiko für verlängerte Wehen, Kaiserschnitt, postpartale Blutungen und Geburtsverletzungen, sowie Sauerstoffmangel und in der Folge Hirnschädigungen bei Neugeborenen
- Für Betroffene von FGM/C ist das Risiko von Fistelbildungen bei der Kindsgeburt erhöht. Fisteln verbinden zwei Körperteile, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind, z.B. Vagina und Blase. Die Folge davon ist Inkontinenz, eine enorme soziale Belastung, die – genau wie Unfruchtbarkeit und Totgeburten – häufig zur Trennung vom Beziehungspartner und dem Ausschluss aus der Gesellschaft führt.
Illustration: Cora Hein
FGM/C wird häufig mit Mythen verbunden, die medizinisch oder menschenrechtlich widerlegbar sind, bei gesellschaftlicher Akzeptanz von FGM/C, Bildungsmangel und Armut aber trotzdem wirkungsmächtig sein können. Da FGM/C ein Tabu-Thema ist, erfahren Mädchen vorab nur selten, was bei dem Eingriff passiert und welche Folgen er haben kann. Die Mythen über FGM/C legen nahe, dass der Eingriff unverzichtbar und erstrebenswert sei. Im Kampf gegen FGM/C gilt es deshalb, gängigen Mythen Fakten entgegenzusetzen und sie so zu entkräften.
Mythos
Fakt
Klicke auf die Sprechblasen
Kontakt mit der (unbeschnittenen) Klitoris führt zu Impotenz beim Mann oder den männlichen Nachkommen der Frau.
Illustration: Cora Hein
Medikalisierung von FGM/C bedeutet, dass die Praktik von GesundheitsdienstleisterInnen wie ÄrztInnen, Hebammen oder PflegerInnen, oft in Kliniken, zu Hause oder andernorts, unter Einsatz von chirurgischen Instrumenten, Anästhetika (Narkosemitteln) und Antiseptika (Desinfektionsmitteln) durchgeführt wird. Dazu zählt auch die Re-Infibulation, also das Wiederverschließen der äußeren Genitalien der Frau, z.B. nach der Entbindung eines Kindes und/oder nach einem gynäkologischen Eingriff.
Verbreitung von medikalisierter FGM/C
Laut UNICEF wurde bei etwa jeder vierten FGM/C-Betroffenen der Eingriff durch GesundheitsdienstleiterInnen durchgeführt, weltweit bei etwa 52 Millionen Mädchen und Frauen. Mit steigender Tendenz: Waren ältere Frauen zwischen 45 und 49 Jahren zu 16 Prozent von medikalisierter FGM/C betroffen, galt dies unter Mädchen und jungen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren bereits für 34 Prozent, was auf eine Zunahme medikalisierter FGM/C hindeutet.
Statistiken zufolge ist medikalisierte FGM/C besonders in 11 Ländern verbreitet: Sudan, Ägypten, Indonesien, Guinea, Nigeria, Kenia, Dschibuti, Ghana, Tschad, Irak und Jemen. Am höchsten ist die Prävalenz derzeit in Ägypten und Sudan: dort wird FGM/C häufiger von GesundheitsdienstleisterInnen als von „traditionellen“ BeschneiderInnen durchgeführt.
Datenquelle: UNICEF 2020
Hintergründe und Bewertung
Woher kommt der Trend der Medikalisierung? | Warum ist das problematisch? | Wie ist das medizinethisch/ rechtlich zu bewerten? | |
Eigene Befürwortung von FGM/C | Einige medizinische Fachkräfte aus Gemeinschaften, die FGM/C praktizieren, befürworten trotz Kenntnis der Risiken dessen Durchführung. | Medizinisches Fachpersonal genießt häufig großes Vertrauen und einen hohen sozialen Status. Wenn GesundheitsdienstleisterInnen FGM/C durchführen, kann dies den Anschein erwecken, FGM/C sei medizinisch unbedenklich oder legitim. | Medikalisierte FGM/C verletzt medizinethische Prinzipien und den international anerkannten „Do-No-Harm“-Grundsatz. |
Wirtschaftlicher Anreiz | Für medizinisches Fachpersonal kann FGM/C wirtschaftliche Anreize haben. In Ländern mit einem FGM/C-Verbot verlangen Fachkräfte oft viel Geld für dessen illegale Durchführung. | Wirtschaftliche Anreize können dafür sorgen, dass FGM/C aufrechterhalten und sogar gefördert wird. Ziel sollte dagegen sein, FGM/C abzuschaffen. | Wird FGM/C in Ländern mit einem Verbot trotzdem durchgeführt, ist dies eine Straftat. Auch medizinische Fachkräfte müssen sich an geltende Gesetze halten! |
Hoffnung auf vermeintlich geringe Schäden | Viele Familien erhoffen sich von medikalisierter FGM/C weniger Schmerzen und Folgeschäden für die betroffenen Frauen und Mädchen. | Infektionsrisiken und Schmerzen während des Eingriffs können durch medikalisierte FGM/C zwar minimal reduziert werden, das Risiko für kurz-, mittel- und langfristige Schäden bleibt aber gleich hoch. | FGM/C ist immer ein Eingriff ohne medizinische Rechtfertigung und eine schwere Menschenrechts-verletzung!
FGM/C verletzt u.a. die Rechte auf Gleichheit und Schutz vor grausamer und unmenschlicher Behandlung (Art. 2 und 5, Allg. Erklärung der Menschenrechte). |
Fazit |
|
Weltweit setzen sich Einrichtungen wie das europäische Netzwerk End FGM, die WHO und weitere Organe der Vereinten Nationen daher für eine „Null-Toleranz“ gegenüber FGM/C ein. Die Null-Toleranz-Politik verurteilt die Medikalisierung von FGM/C und lehnt sie ab.
Formen
Typ I – Klitoridektomie: teilweise oder vollständige Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut.
Typ II – Exzision: der äußerlich sichtbare Teil der Klitoris und die inneren Vulvalippen werden teilweise oder vollständig entfernt. Mitunter werden auch die äußeren Vulvalippen verstümmelt.
Typ III – Infibulation: schwerste Form von FGM/C. Die Klitoris(vorhaut) und Vulvalippen werden entfernt und die Wunde bis auf ein kleines Loch zugenäht. Durch dieses sollen Urin und Menstruationsblut abfließen, aber keine Penetration möglich sein.
Typ IV – weitere Praktiken, die Schäden hinterlassen: alle weiteren, medizinisch nicht begründeten Eingriffe, welche die Vulva und Klitoris der Frau nachhaltig schädigen. Darunter fallen z.B. Ätzen, Brennen, Scheuern, Dehnen, Einritzen, Durchbohren, Einschneiden und das Auftragen von nervenschädigenden oder betäubenden Substanzen.
Praktiken wie Räuchern, Tupfen oder das Auflegen von magischen Gegenständen hinterlassen keine physischen Schäden, werden aber dennoch zur Kontrolle der weiblichen Sexualität ausgeübt.
Fakten
Zehn Fakten
1 FGM/C wird in mindestens 92 Ländern – fast der Hälfte aller Länder weltweit – praktiziert. Es kommt auf allen Kontinenten außer in der Antarktis vor.
Hintergründe
Warum wird FGM praktiziert?
Die meisten Begründungen fallen in einen der drei Bereiche:
1. Tradition / soziale Norm
FGM/C gilt häufig als kulturell bedingte Tradition und soziale Norm. Mancherorts ist FGM/C fester Bestandteil eines Übergangsrituals vom Mädchen- zum Frausein und wird als Vorbereitung von Mädchen auf ihre Rolle als Ehefrau und Mutter angesehen. Der Tradition zu folgen, ist Ausdruck des Respekts gegenüber früheren Generationen und ein Zeichen der Dankbarkeit für die eigene Herkunft. Mit einem alten Brauch zu brechen, kann als Affront gegenüber der Familie und den Vorfahren verstanden werden. Die Reaktionen darauf können sehr emotional bis hin zu lebensbedrohlich ausfallen.
2. Religion / spirituelle und sexuelle „Reinheit“
Oft werden religiöse Gebote und Ideale der spirituellen und sexuellen „Reinheit“ als Motivation für FGM/C angeführt. Dabei schreibt keine religiöse Schrift FGM/C vor. Trotzdem sind VertreterInnen verschiedener Religionen überzeugt, dass FGM/C Einklang zwischen dem Willen eines spirituellen Wesens und dem Menschen schaffen kann. Wirkungsmächtig in diesem Kontext können auch „medizinische Mythen“ sein, d.h. Moral- oder Hygiene-Vorstellungen von weiblicher Sexualität und dem weiblichen Genital. So wird etwa angenommen, erstere sei ohne FGM/C zügellos oder zweiteres ohne FGM/C schmutzig.
3. Ökonomische Gründe
FGM/C gilt meist als Voraussetzung für die Heirat und Familiengründung einer Frau. Ohne FGM/C haben Frauen schlechtere Heiratschancen und der Brautpreis fällt niedriger aus. In vielen Kontexten, in denen FGM/C vorkommt, sind die Strukturen so, dass alleinlebende und ggf. alleinerziehende Frauen ihre Existenz und die ihrer Kinder nicht unabhängig sichern können. Auch wird der gesellschaftliche Status einer Frau oft an ihrer Heirats- und Gebärfähigkeit festgemacht. Ohne FGM/C erfahren Frauen oft soziale Ausgrenzung und Diskriminierung.
Aus Sicht von MenschenrechtsverteidigerInnen wird FGM/C durchgeführt, um weibliche Sexualität und den weiblichen Körper zu kontrollieren und die sexuelle Selbstbestimmung von Mädchen und Frauen zu unterdrücken. Ziel ist die Durchsetzung patriarchal motivierter Normen wie Jungfräulichkeit vor der Ehe, Monogamie bzw. Treue während der Ehe und eine Reduzierung der sexuellen Lust und des sexuellen Vergnügens der Frau.
Folgen
FGM/C hat keine gesundheitlichen Vorteile für Mädchen und Frauen und kann nicht rückgängig gemacht werden. Alle Formen dieser Praktik können schwere physische, psychische und soziale Auswirkungen haben. FGM/C zählt zu den häufigsten Todesursachen in Ländern, in denen es praktiziert wird. Laut einer Studie der Universitäten Birmingham und Exeter in 15 afrikanischen Ländern aus dem Jahr 2023 sterben dort jährlich über 44.000 Frauen und Mädchen an FGM/C.
Die akuten und chronischen Folgen von FGM/C lassen sich in drei Bereiche einteilen. Das Ausmaß der Folgen hängt von verschiedenen Faktoren ab, u.a. von der Art der Verstümmelung (Typ I-IV), den verwendeten Instrumenten, der Umgebung, in der der Eingriff stattfindet, der Vorerfahrung der BeschneiderInnen und dem Gesundheitszustand der Betroffenen. Zu den häufigsten Folgen zählen:
Klicke auf die roten Markierungen oder auf die folgenden Überschriften
Folgen für die Psyche
- Todesangst während des Eingriffs
- Diverse Traumata, die v.a. mit Gefühlen von Verrat, Ohnmacht und Erniedrigung einhergehen, da die engsten Bezugspersonen der Betroffenen, meist die Eltern, FGM/C organisiert oder zugelassen haben, Dissoziation, posttraumatische Belastungsstörung etc.
- Gefühle von Unvollständigkeit und Minderwertigkeit
- Schlaf- und Angststörungen
- Nachlassende Konzentrationsfähigkeit, bei Jugendlichen oft mit einem Abfall schulischer Leistungen und dem Ende der Schullaufbahn verbunden
- Depressionen bis hin zu schlimmstenfalls Suizidalität
- Partnerschaftskonflikte
Folgen für den Körper
- Starke Schmerzen wegen der Durchtrennung des empfindlichen Genitalgewebes, in der Regel ohne Betäubung
- Unkontrollierbare Blutungen, v.a. wenn die Klitorisarterie oder ein anderes Blutgefäß durchtrennt wird
- Frakturen an Schlüsselbein, Oberarm- und Oberschenkelknochen durch das gewaltsame Festhalten der Betroffenen bei dem Eingriff
- Infektionen durch unsterile Bedingungen und Instrumente, u.a. Blutvergiftung, die zu einem septischen Schock und schließlich zum Tod führen kann
- Verletzungen benachbarter Gewebe, wie z.B. Vagina, Harnröhre und Damm
- Beeinträchtigte Wundheilung, gefährliche Gewebeschwellung und übermäßige Narbenbildung
- Beschwerden beim Urinieren, wie Schmerzen, Harnverhalt und Inkontinenz
- Menstruationsbeschwerden, z.B. schmerzhafte oder unregelmäßige Menstruation, sowie Störung des Abflusses von Menstruationsblut
- Geruchsentwicklung im Genitalbereich, u.a. bei Harn- und Stuhlinkontinenz
- Chronische Genitalinfektionen, in deren Folge Zysten, Abszesse und Genitalgeschwüre auftreten können
- Harnwegsinfektionen, die zu Nierenversagen führen können
- Erhöhtes Risiko einer HIV-Infektion durch die Verwendung der gleichen Instrumente bei mehreren Betroffenen von FGM/C ohne zwischenzeitliche Reinigung oder das erhöhte Risiko von Blutungen beim Geschlechtsverkehr
Folgen für die Sexualität/Fortpflanzung
- Beeinträchtigung der sexuellen Gesundheit und Empfindsamkeit, v.a. Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, vermindertes sexuelles Verlangen und Lustempfinden, verminderte Häufigkeit oder Ausbleiben des Orgasmus
- Chronische Entzündungen an Becken, Nieren und Eierstöcken, die zu Eileiterschwangerschaften und Unfruchtbarkeit führen können
- Geburtskomplikationen durch eine verengte und vernarbte Vaginalöffnung, u.a. erhöhtes Risiko für verlängerte Wehen, Kaiserschnitt, postpartale Blutungen und Geburtsverletzungen, sowie Sauerstoffmangel und in der Folge Hirnschädigungen bei Neugeborenen
- Für Betroffene von FGM/C ist das Risiko von Fistelbildungen bei der Kindsgeburt erhöht. Fisteln verbinden zwei Körperteile, die normalerweise nicht miteinander verbunden sind, z.B. Vagina und Blase. Die Folge davon ist Inkontinenz, eine enorme soziale Belastung, die – genau wie Unfruchtbarkeit und Totgeburten – häufig zur Trennung vom Beziehungspartner und dem Ausschluss aus der Gesellschaft führt.
Illustration: Cora Hein
Mythen
FGM/C wird häufig mit Mythen verbunden, die medizinisch oder menschenrechtlich widerlegbar sind, bei gesellschaftlicher Akzeptanz von FGM/C, Bildungsmangel und Armut aber trotzdem wirkungsmächtig sein können. Da FGM/C ein Tabu-Thema ist, erfahren Mädchen vorab nur selten, was bei dem Eingriff passiert und welche Folgen er haben kann. Die Mythen über FGM/C legen nahe, dass der Eingriff unverzichtbar und erstrebenswert sei. Im Kampf gegen FGM/C gilt es deshalb, gängigen Mythen Fakten entgegenzusetzen und sie so zu entkräften.
Mythos
Fakt
Klicke auf die Sprechblasen
Kontakt mit der (unbeschnittenen) Klitoris führt zu Impotenz beim Mann oder den männlichen Nachkommen der Frau.
Illustration: Cora Hein
Medikalisierung
Medikalisierung von FGM/C bedeutet, dass die Praktik von GesundheitsdienstleisterInnen wie ÄrztInnen, Hebammen oder PflegerInnen, oft in Kliniken, zu Hause oder andernorts, unter Einsatz von chirurgischen Instrumenten, Anästhetika (Narkosemitteln) und Antiseptika (Desinfektionsmitteln) durchgeführt wird. Dazu zählt auch die Re-Infibulation, also das Wiederverschließen der äußeren Genitalien der Frau, z.B. nach der Entbindung eines Kindes und/oder nach einem gynäkologischen Eingriff.
Verbreitung von medikalisierter FGM/C
Laut UNICEF wurde bei etwa jeder vierten FGM/C-Betroffenen der Eingriff durch GesundheitsdienstleiterInnen durchgeführt, weltweit bei etwa 52 Millionen Mädchen und Frauen. Mit steigender Tendenz: Waren ältere Frauen zwischen 45 und 49 Jahren zu 16 Prozent von medikalisierter FGM/C betroffen, galt dies unter Mädchen und jungen Frauen zwischen 15 und 19 Jahren bereits für 34 Prozent, was auf eine Zunahme medikalisierter FGM/C hindeutet.
Statistiken zufolge ist medikalisierte FGM/C besonders in 11 Ländern verbreitet: Sudan, Ägypten, Indonesien, Guinea, Nigeria, Kenia, Dschibuti, Ghana, Tschad, Irak und Jemen. Am höchsten ist die Prävalenz derzeit in Ägypten und Sudan: dort wird FGM/C häufiger von GesundheitsdienstleisterInnen als von „traditionellen“ BeschneiderInnen durchgeführt.
Datenquelle: UNICEF 2020
Hintergründe und Bewertung
Woher kommt der Trend der Medikalisierung? | Warum ist das problematisch? | Wie ist das medizinethisch/ rechtlich zu bewerten? | |
Eigene Befürwortung von FGM/C | Einige medizinische Fachkräfte aus Gemeinschaften, die FGM/C praktizieren, befürworten trotz Kenntnis der Risiken dessen Durchführung. | Medizinisches Fachpersonal genießt häufig großes Vertrauen und einen hohen sozialen Status. Wenn GesundheitsdienstleisterInnen FGM/C durchführen, kann dies den Anschein erwecken, FGM/C sei medizinisch unbedenklich oder legitim. | Medikalisierte FGM/C verletzt medizinethische Prinzipien und den international anerkannten „Do-No-Harm“-Grundsatz. |
Wirtschaftlicher Anreiz | Für medizinisches Fachpersonal kann FGM/C wirtschaftliche Anreize haben. In Ländern mit einem FGM/C-Verbot verlangen Fachkräfte oft viel Geld für dessen illegale Durchführung. | Wirtschaftliche Anreize können dafür sorgen, dass FGM/C aufrechterhalten und sogar gefördert wird. Ziel sollte dagegen sein, FGM/C abzuschaffen. | Wird FGM/C in Ländern mit einem Verbot trotzdem durchgeführt, ist dies eine Straftat. Auch medizinische Fachkräfte müssen sich an geltende Gesetze halten! |
Hoffnung auf vermeintlich geringe Schäden | Viele Familien erhoffen sich von medikalisierter FGM/C weniger Schmerzen und Folgeschäden für die betroffenen Frauen und Mädchen. | Infektionsrisiken und Schmerzen während des Eingriffs können durch medikalisierte FGM/C zwar minimal reduziert werden, das Risiko für kurz-, mittel- und langfristige Schäden bleibt aber gleich hoch. | FGM/C ist immer ein Eingriff ohne medizinische Rechtfertigung und eine schwere Menschenrechts-verletzung!
FGM/C verletzt u.a. die Rechte auf Gleichheit und Schutz vor grausamer und unmenschlicher Behandlung (Art. 2 und 5, Allg. Erklärung der Menschenrechte). |
Fazit
|
Weltweit setzen sich Einrichtungen wie das europäische Netzwerk End FGM, die WHO und weitere Organe der Vereinten Nationen daher für eine „Null-Toleranz“ gegenüber FGM/C ein. Die Null-Toleranz-Politik verurteilt die Medikalisierung von FGM/C und lehnt sie ab.
FGM/C in Sierra Leone
Sierra Leone im Überblick
- Bevölkerung: ca. 8,8 Millionen
- Religionszugehörigkeit: 77 % muslimisch und 23 % christlich
- Über 20 Sprachen (am meisten gesprochen werden Temne, Krio und Mende)
- Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, 28 % leiden an Unterernährung
- FGM/C-Prävalenz: 83 %
- Kein gesetzliches Verbot von FGM/C!
Schutzhaus
Seit 2012 betreibt AIM ein Mädchenschutzhaus. Die meisten der dort untergebrachten Mädchen und jungen Frauen sind von zuhause weggelaufen, um der Bedrohung durch FGM/C zu entgehen. Andere waren von häuslicher Gewalt betroffen, sollten zwangsverheiratet werden oder haben ihre Eltern an die Ebola-Epidemie verloren. Im Schutzhaus haben sie eine sichere Zuflucht gefunden und können ihre Schulbildung fortsetzen. Ihre Resilienz und ihr Zusammenhalt sind beeindruckend: trotz aller erlebter Traumata wird im Schutzhaus viel gelacht, getanzt und gesungen, die Mädchen unterstützen sich bei alltäglichen Dingen, wie z.B. den Hausaufgaben, und sind füreinander da.
AIM führt Mediationsgespräche mit den Familien der Mädchen, um sie von den schädlichen Auswirkungen der Genitalverstümmelung zu überzeugen, und sie dazu zu bringen, die Entscheidung der Mädchen gegen FGM/C zu akzeptieren. In vielen Fällen zeigen diese Gespräche Wirkung und die Mädchen können nach Hause zurückkehren und dort sicher aufwachsen.
Kommt mit Schutzhausbewohnerin Abibatu auf einen Rundgang!
Lernt einige der Schutzhausbewohnerinnen kennen:
Die Mädchen sind im Schutzhaus natürlich nicht alleine: sie werden von der Sozialarbeiterin Juliet Marah betreut, die selbst im Schutzhaus lebt und somit rund um die Uhr für die jungen Bewohnerinnen da ist. Außerdem kommt Köchin Ramatu Bangura täglich ins Schutzhaus, um den Mädchen warme Mahlzeiten zu kochen. Ramatu war einst als Beschneiderin tätig, hat sich jedoch von der Praktik abgewandt, und ist stolz, durch ihre Arbeit im Schutzhaus inzwischen Teil von AIMs Engagement gegen FGM/C zu sein.
Hier stellen sich die beiden vor:
AIM-Leiterin Rugiatu Turay erzählt die Geschichte hinter dem Schutzhaus:
Bilder aus dem Schutzhausalltag:
Alternative Rituale
Zeremonieller Gang durch das Dorf
Geheime Lektionen im Bondo-Busch
Feuerholz tragen
Feierliche Abschlusszeremonie
Schritt für Schritt durch die Seifenherstellung
Manuelle Seifenherstellung, ohne die automatisierten Mechanismen der industriellen Massenproduktion, ist gar nicht so einfach! Der ganze Prozess erstreckt sich über zwei Tage.
1. Vorbereitung: Öl reinigen
2. Seifenflüssigkeit anrühren
3. Seifenmasse erstarren lassen
4.a. Seifenblöcke schneiden
4.b. Seifenmasse raspeln
5.a. Fertiges Produkt: Blockseife
5.b. Fertiges Produkt: Africana-Seife
Alphabetisierungskurse
Schneiderei-Atelier für ehemalige Beschneiderinnen
- FGM/C in der sierra-leonischen Politik
- Rechtliche Lage
- Die „Age of Consent”-Debatte
- Juristische Verfolgung
- Zivilgesellschaftliche Vernetzung
TW: Dieses Video enthält Schilderungen des Todesfalles eines Kleinkindes infolge von FGM/C (nicht explizit beschrieben)
Die große Mehrheit der Länder, in denen FGM/C traditionell praktiziert wird, hat die Praktik inzwischen in ihrer nationalen Gesetzgebung unter Strafe gestellt. Zwar sind gesetzliche Verbote allein noch lange keine Garantie dafür, dass der Eingriff nicht länger stattfindet, dennoch bilden sie eine entscheidende Rechtsgrundlage für den Kampf gegen FGM/C – und senden zugleich die wichtige Botschaft, dass auch die politischen EntscheidungsträgerInnen FGM/C entgegenstehen. Doch in Sierra Leone ist man davon weit entfernt! Die amtierende First Lady Fatima Maada Bio klammerte in ihrer 2019 begonnenen landesweiten Kampagne „Hands off Our Girls“ zum Schutz von Mädchen vor verschiedenen geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen FGM/C kategorisch aus und erklärte in einem Interview, dass FGM/C keine negativen Folgen habe bzw. selbige erst einmal nachgewiesen werden müssten. Keine der bisherigen Regierungen und keine der größeren Parteien hat sich jemals explizit für ein Verbot von FGM/C ausgesprochen, im Gegenteil bekunden PolitikerInnen auf allen Ebenen immer wieder öffentlich ihre Befürwortung der Praktik.
Geschuldet ist dies nicht zuletzt dem erheblichen gesellschaftlichen Einfluss des Frauengeheimbunds der Bondo Society und seines politischen Sprachrohrs, des sogenannten „National Sowei Council“ (Nationaler Rat der Soweis/traditionellen Beschneiderinnen). 1993 gegründet, stellt der Rat die erste Organisation der Soweis in einem strukturierten Gremium dar und hat der bis dahin nur informell organisierten Geheimgesellschaft eine ganz neue Dimension an formaler öffentlicher Präsenz ermöglicht. Als anerkannte Organisation wird der Rat von der Regierung Sierra Leones zu zahlreichen Veranstaltungen und Aktivitäten eingeladen, die VertreterInnen der Zivilgesellschaft einbeziehen, und kann in diesem Rahmen seine politischen Positionen vorantreiben und Druck auf FGM/C-GegnerInnen ausüben. Auf lokaler Ebene nutzen Soweis und die Bondo Society ihr politisches Gewicht gezielt zur Beeinflussung von Wahlentscheidungen. Ihren Unmut auf sich zu ziehen, gilt als politischer Selbstmord.
Zahlreiche PolitikerInnen gehen so weit, in Wahlkampfzeiten die teure Einführung von Mädchen in die Bondo Society und damit deren Beschneidung zu bezahlen, nicht nur um Pluspunkte bei der Geheimgesellschaft zu machen, sondern vor allem auch, um die Wahlstimmen der finanziell entlasteten Familien zu erkaufen.
Bis heute gibt es in Sierra Leone kein Gesetz, das Mädchen und Frauen vor FGM/C schützt. Die Verfassung des Landes erkennt FGM/C nicht als menschenrechtsverletzende Praktik an, und der Passus zum Schutz vor unmenschlicher Behandlung (Art. 20.1: „Niemand sollte irgendeiner Form von Folter oder irgendeiner Bestrafung oder Behandlung ausgesetzt sein, die inhuman oder erniedrigend ist.”) wird ebenfalls nicht auf FGM/C angewendet.
Sierra Leone hat mehrere internationale Abkommen ratifiziert, deren Ziele mit der fortbestehenden Legalität von FGM/C eigentlich unvereinbar sind. Dennoch sind Versuche, FGM/C in der nationalen Gesetzgebung zu kriminalisieren, immer wieder gescheitert bzw. blieben auf temporäre Verbote beschränkt. Einen Überblick über wichtige diesbezügliche Gesetzesinitiativen, internationale Abkommen und sonstige Entwicklungen geben wir euch hier:
Worum geht es? | Wurde damit der Rechtsschutz gegen FGM/C in Sierra Leone verbessert? | ||
Ratifizierung CEDAW | 1988 | Bereits 1988 hat Sierra Leone die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (engl. Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women – CEDAW) unterzeichnet und ratifiziert. Artikel 2f der Konvention fordert die Vertragsstaaten dazu auf, alle geeigneten Maßnahmen einschließlich entsprechender Gesetzgebung zu ergreifen, um Gebräuche und Praktiken, die Frauen diskriminieren, zu beenden. | Trotz wiederholter Kritik des CEDAW-Ausschusses wurde FGM/C in Sierra Leone bis heute nicht gesetzlich verboten. |
Child Rights Act | 2007 | Das Gesetz zum Schutz von Minderjährigen definiert FGM/C zwar, doch als traditionelle Praktiken, denen Kinder laut dem Gesetz nicht mehr ausgesetzt werden dürfen, werden in Abschnitt 46 lediglich die Verlobung und Verheiratung von Kindern aufgeführt. | Ursprünglich vorgesehene Passagen, die auch FGM/C kriminalisiert hätten, wurden auf Druck von einflussreichen lokalen Führungspersonen während des legislativen Prozesses wieder entfernt. |
Absichtserklärungen zum Stopp von FGM/C an Minderjährigen | 2012 | Im Jahr 2012 unterzeichneten acht der damals zwölf Distrikte Sierra Leones (Bo, Kambia, Port Loko, Kailahun, Bonthe, Pujehun, Western Area Rural, Western Area Urban) eine Absichtserklärung, die FGM/C an minderjährigen Mädchen verbot. Diese Erklärung wurde anschließend in einigen Chiefdoms (der nächstniedrigeren Verwaltungseinheit in Sierra Leone) in lokale Vereinbarungen zwischen traditionellen Führungspersonen und Beschneiderinnen/Soweis übertragen. | Fakt ist, dass diese Vereinbarungen nie in die reguläre Gesetzgebung Eingang fanden, nicht rechtsverbindlich wirken und Beschneidungen von Minderjährigen auch in den genannten Distrikten weiterhin stattfinden. |
Temporäres FGM/C-Verbot wegen Ebola | 2014 | Im Jahr 2014 erließ die sierra-leonische Regierung kurzzeitig ein landesweites Verbot von FGM/C, um die Verbreitung des Ebola-Virus einzudämmen. Einzelpersonen, die sich nicht an dieses Verbot hielten, wurden mit Geldstrafen belegt, und die Fallzahlen gingen vorübergehend deutlich zurück. | Das Verbot blieb nur in Kraft, bis die Weltgesundheitsorganisation Sierra Leone für Ebola-frei erklärte. |
Ratifizierung Maputo-Protokoll | 2015 | Das „Protokoll für die Rechte von Frauen in Afrika“, bekannt als Maputo-Protokoll, ist ein Zusatzprotokoll zur „Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker“ und hat die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen zum Ziel. Artikel 5b verpflichtet die Vertragsstaaten explizit dazu, gesetzlich gegen alle Formen von FGM/C vorzugehen. Sierra Leone hat das Maputo-Protokoll 2003 unterzeichnet und 2015 ratifiziert. | Seit der Ratifizierung hat Sierra Leone keinerlei Maßnahmen für das im Maputo-Protokoll explizit geforderte gesetzliche Verbot von FGM/C ergriffen. |
Nationaler Aktionsplan zur Reduzierung von FGM/C | 2016 | Das sierra-leonische Ministerium für Soziales, Gender- und Kinderangelegenheiten erklärte im Jahr 2016, gemeinsam mit strategischen PartnerInnen wie NGOs und UN-Behörden einen nationalen Aktionsplan zur Reduzierung von FGM/C erarbeitet zu haben, der unter anderem Maßnahmen zu Aufklärung und Monitoring sowie die Einrichtung eines nationalen Steuerungsausschusses für die Bekämpfung von FGM/C vorsah. | Aufgrund der politischen Kontroverse wurde das Dokument bis heute nicht vom Parlament verabschiedet und folglich auch nicht in die Praxis umgesetzt. |
Temporäres FGM/C-Verbot im Wahlkampf | 2018 | Die Strategie sierra-leonischer PolitikerInnen, Beschneidungszeremonien zu finanzieren und sich so die Wahlstimmen der begünstigten Familien zu sichern, nahm zeitweilig so extreme Ausmaße an, dass die Regierung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2018 ein temporäres FGM/C-Verbot verhängte. | Ziel dieser Maßnahme war nicht, Mädchen und Frauen vor der schädlichen Praktik zu schützen, sondern einzig die Beeinflussung des Wahlausgangs zu verhindern. Nach den Präsidentschaftswahlen 2018 endete das Verbot und wurde seitdem auch für keinen weiteren Wahlprozess repliziert. |
Die Debatte um das Vorgehen gegen FGM/C wird in Sierra Leone von zwei unterschiedlichen Ansätzen dominiert: dem „Age of Consent” (Schutz- oder Mündigkeitsalter)-Ansatz und dem „Zero Tolerance” (Null Toleranz)-Ansatz. Ersterer fordert ein FGM/C-Verbot lediglich für Mädchen unter 18 Jahren – volljährigen Frauen hingegen sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich für den Eingriff zu entscheiden. Der Null Toleranz-Ansatz spricht sich stattdessen für ein vollständiges FGM/C-Verbot ungeachtet des Alters aus.
TW: Dieses Video enthält Schilderungen von Todesfällen infolge von FGM/C (nicht explizit beschrieben)
Sierra-leonische PolitikerInnen, die sich überhaupt kritisch zu FGM/C äußern, fokussieren sich in der Regel auf den „Age of Consent“-Ansatz und formulieren ihre Sorge als Kinderschutzfrage, zumal FGM/C in der sierra-leonischen Kultur meist mit Heiratsfähigkeit gleichgesetzt wird und die Forderung nach Volljährigkeit beim Eingriff somit dazu beitragen soll, Teenagerheiraten und -schwangerschaften zu vermeiden und den Mädchen einen längeren Schulbesuch zu ermöglichen. Obwohl der beschriebene Zusammenhang zwischen FGM/C und Frühverheiratung zweifellos besteht, versäumt diese Darstellung in der Regel, die grundsätzlichen Gefahren und Folgeschäden von FGM/C zu beleuchten, die alle Mädchen und Frauen völlig unabhängig ihres Alters betreffen.
Der „National Sowei Council“ als politische Vertretung der Beschneiderinnen hat sich im Rahmen der erbitterten Diskussionen um die allgemeine Zulässigkeit von FGM/C zum „Age of Consent“-Ansatz als vermeintlicher Kompromisshaltung durchgerungen und seine Mitglieder zumindest offiziell aufgefordert, junge Frauen nur noch mit Erreichen der Volljährigkeit zu beschneiden. Die Praxis zeigt jedoch, dass FGM/C an Minderjährigen nach wie vor regelmäßig vorkommt und die große Mehrheit der Soweis sich nicht an die Altersregelung gebunden fühlt.
Die „Age of Consent”-Debatte spaltet auch die sierra-leonische NGO-Landschaft, da eine Reihe von Organisationen ebenfalls diesen Ansatz vertritt. Die TDF-Partnerorganisation AIM spricht sich jedoch, gemeinsam mit vielen anderen NGOs, klar für eine Null Toleranz-Haltung aus. Sie betonen, dass die Konsequenzen von FGM/C keine Rücksicht auf Altersgrenzen nehmen, und verweisen auf die immer wieder vorkommenden Todesfälle auch bei volljährigen Frauen. Hinzu kommt, dass angesichts der in weiten Teilen der Gesellschaft noch immer vorherrschenden Tabuisierung von FGM/C sowie des immensen sozialen Drucks, der Bondo Society beizutreten und damit auch die Beschneidungsrituale zu durchlaufen, eine tatsächlich informierte und selbstbestimmte Entscheidung für FGM/C kaum möglich erscheint.
Da FGM/C in Sierra Leone noch immer nicht gesetzlich verboten ist, ist eine potentielle strafrechtliche Verfolgung nur dann denkbar, wenn die Beschneidung unter körperlichem Zwang und explizit gegen den Willen der Betroffenen stattfindet – ein Umstand, der angesichts der absoluten Geheimhaltung aller Vorgänge im Bondo-Busch kaum je nachzuweisen ist – oder Komplikationen tödlich enden. Doch selbst in diesen Fällen ist der Weg, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und eine tatsächliche Verurteilung zu erreichen, lang und steinig.
Dies liegt vor allem an der einflussreichen und auch überregional gut vernetzten Bondo Society, die nicht zögert, ihr gesellschaftliches und politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um Druck auf eine Vielzahl von AkteurInnen auszuüben und so ihre Mitglieder zu schützen. So ist es schon vorgekommen, dass Polizeistationen nach Festnahmen von Soweis nicht nur von deren ortsansässigen Kolleginnen, sondern auch von Soweis aus anderen Distrikten aufgesucht und landesweite Proteste angedroht wurden, woraufhin die Tatverdächtigen wieder auf freien Fuß kamen und weitere Strafverfolgung ausblieb. Wenn geschädigte Personen die Bondo Society verklagen, wird die Klage in der Regel von den Gerichten abgewiesen. Oft kommt es gar nicht erst zur Verhandlung, da die entsprechenden Fälle immer wieder ohne stichhaltige Begründung aufgeschoben werden oder relevante Akten verschwinden. Einige Fälle werden unter dem Vorwand abgewiesen, dass sie die Sicherheit des Staates verletzen könnten. Die Einschüchterung von KlägerInnen und ZeugInnen ist ebenfalls eine gängige Strategie der Bondo Society.
Quelle: The Guardian
Gegen FGM/C arbeitende NGOs, allen voran der Dachverband „Forum Against Harmful Practices“ (FAHP, dt. Forum gegen schädliche Praktiken), dessen Vorsitz die TDF-Partnerorganisation AIM innehat, kämpfen gegen diese Widerstände an. Ihr Ziel ist es, mindestens eine erfolgreiche Verurteilung zu erreichen und damit einen Präzedenzfall zu schaffen, der die zukünftige juristische Verfolgung von Todesfällen nach FGM/C erleichtert. Zu diesem Zweck unterstützt das FAHP zurzeit etwa die laufenden Verfahren zu drei im Dezember 2023 nach FGM/C verstorbenen minderjährigen Mädchen sowie der im Dezember 2021 ums Leben gekommenen 21-jährigen Maseray Sei. Für letztere hatte sogar ein Autopsie-Bericht FGM/C als Todesursache bestätigt, dennoch kam der Fall zunächst nicht vor Gericht. Der zuständige Richter behauptete, ein Wort im medizinischen Bericht sei nicht verständlich gewesen, und verweigerte die Verfahrensaufnahme. Mit Unterstützung des FAHP konnte der Fall schließlich an eine höhere gerichtliche Instanz übergeben werden, deren Entscheidung noch aussteht.
Organisationen wie AIM haben mit ihrer Pionierarbeit das Schweigen zu dem traditionell tabuisierten Thema FGM/C gebrochen. Trotz anhaltender Widerstände aus Politik und Gesellschaft gibt es in Sierra Leone inzwischen eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich offen gegen FGM/C engagieren. Das Bestreben, diese Organisationen enger miteinander zu vernetzen, Synergieeffekte zu schaffen und mit vereinten Kräften gegen FGM/C in Sierra Leone eintreten zu können, mündete im Jahr 2014 schließlich in die Gründung des „Forum Against Harmful Practices“ (FAHP, dt. Forum gegen schädliche Praktiken). Inzwischen hat dieser Dachverband rund 26 Mitgliedsorganisationen, einen siebenköpfigen Vorstand (AIM-Gründerin und -Leiterin Rugiatu Turay ist Vorstandsvorsitzende) und eine Geschäftsstelle mit 11 hauptamtlichen MitarbeiterInnen.
Das FAHP betreibt Fundraising für die Projekte seiner Mitgliedsorganisationen, umfassende Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema FGM/C und setzt sich auf politischer Ebene für ein gesetzliches Verbot der Praktik sowie die strafrechtliche Verfolgung durch FGM/C verursachter Todesfälle ein. Eine zentrale Position des FAHP besteht darin, dass sich alle Mitgliedsorganisationen zum „Zero Tolerance“-Ansatz bekennen müssen, d.h. zur Forderung eines vollständigen Verbots von FGM/C, und nicht, wie von weiten Teilen der sierra-leonischen Politik und auch einigen NGOs vertreten, eines ausschließlich auf Minderjährige bezogenen Verbots („Age of Consent“-Ansatz).
Hier erzählt FAHP-Geschäftsführerin Aminata Koroma mehr zur Geschichte, den Aktivitäten und Zielen des Forums:
TW: Dieses Video enthält Schilderungen von Todesfällen infolge von FGM/C (nicht explizit beschrieben)
FGM/C in der sierra-leonischen Politik
TW: Dieses Video enthält Schilderungen des Todesfalles eines Kleinkindes infolge von FGM/C (nicht explizit beschrieben)
Die große Mehrheit der Länder, in denen FGM/C traditionell praktiziert wird, hat die Praktik inzwischen in ihrer nationalen Gesetzgebung unter Strafe gestellt. Zwar sind gesetzliche Verbote allein noch lange keine Garantie dafür, dass der Eingriff nicht länger stattfindet, dennoch bilden sie eine entscheidende Rechtsgrundlage für den Kampf gegen FGM/C – und senden zugleich die wichtige Botschaft, dass auch die politischen EntscheidungsträgerInnen FGM/C entgegenstehen. Doch in Sierra Leone ist man davon weit entfernt! Die amtierende First Lady Fatima Maada Bio klammerte in ihrer 2019 begonnenen landesweiten Kampagne „Hands off Our Girls“ zum Schutz von Mädchen vor verschiedenen geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen FGM/C kategorisch aus und erklärte in einem Interview, dass FGM/C keine negativen Folgen habe bzw. selbige erst einmal nachgewiesen werden müssten. Keine der bisherigen Regierungen und keine der größeren Parteien hat sich jemals explizit für ein Verbot von FGM/C ausgesprochen, im Gegenteil bekunden PolitikerInnen auf allen Ebenen immer wieder öffentlich ihre Befürwortung der Praktik.
Geschuldet ist dies nicht zuletzt dem erheblichen gesellschaftlichen Einfluss des Frauengeheimbunds der Bondo Society und seines politischen Sprachrohrs, des sogenannten „National Sowei Council“ (Nationaler Rat der Soweis/traditionellen Beschneiderinnen). 1993 gegründet, stellt der Rat die erste Organisation der Soweis in einem strukturierten Gremium dar und hat der bis dahin nur informell organisierten Geheimgesellschaft eine ganz neue Dimension an formaler öffentlicher Präsenz ermöglicht. Als anerkannte Organisation wird der Rat von der Regierung Sierra Leones zu zahlreichen Veranstaltungen und Aktivitäten eingeladen, die VertreterInnen der Zivilgesellschaft einbeziehen, und kann in diesem Rahmen seine politischen Positionen vorantreiben und Druck auf FGM/C-GegnerInnen ausüben. Auf lokaler Ebene nutzen Soweis und die Bondo Society ihr politisches Gewicht gezielt zur Beeinflussung von Wahlentscheidungen. Ihren Unmut auf sich zu ziehen, gilt als politischer Selbstmord.
Zahlreiche PolitikerInnen gehen so weit, in Wahlkampfzeiten die teure Einführung von Mädchen in die Bondo Society und damit deren Beschneidung zu bezahlen, nicht nur um Pluspunkte bei der Geheimgesellschaft zu machen, sondern vor allem auch, um die Wahlstimmen der finanziell entlasteten Familien zu erkaufen.
Rechtliche Lage
Bis heute gibt es in Sierra Leone kein Gesetz, das Mädchen und Frauen vor FGM/C schützt. Die Verfassung des Landes erkennt FGM/C nicht als menschenrechtsverletzende Praktik an, und der Passus zum Schutz vor unmenschlicher Behandlung (Art. 20.1: „Niemand sollte irgendeiner Form von Folter oder irgendeiner Bestrafung oder Behandlung ausgesetzt sein, die inhuman oder erniedrigend ist.”) wird ebenfalls nicht auf FGM/C angewendet.
Sierra Leone hat mehrere internationale Abkommen ratifiziert, deren Ziele mit der fortbestehenden Legalität von FGM/C eigentlich unvereinbar sind. Dennoch sind Versuche, FGM/C in der nationalen Gesetzgebung zu kriminalisieren, immer wieder gescheitert bzw. blieben auf temporäre Verbote beschränkt. Einen Überblick über wichtige diesbezügliche Gesetzesinitiativen, internationale Abkommen und sonstige Entwicklungen geben wir euch hier:
Worum geht es? | Wurde damit der Rechtsschutz gegen FGM/C in Sierra Leone verbessert? | ||
Ratifizierung CEDAW | 1988 | Bereits 1988 hat Sierra Leone die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (engl. Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women – CEDAW) unterzeichnet und ratifiziert. Artikel 2f der Konvention fordert die Vertragsstaaten dazu auf, alle geeigneten Maßnahmen einschließlich entsprechender Gesetzgebung zu ergreifen, um Gebräuche und Praktiken, die Frauen diskriminieren, zu beenden. | Trotz wiederholter Kritik des CEDAW-Ausschusses wurde FGM/C in Sierra Leone bis heute nicht gesetzlich verboten. |
Child Rights Act | 2007 | Das Gesetz zum Schutz von Minderjährigen definiert FGM/C zwar, doch als traditionelle Praktiken, denen Kinder laut dem Gesetz nicht mehr ausgesetzt werden dürfen, werden in Abschnitt 46 lediglich die Verlobung und Verheiratung von Kindern aufgeführt. | Ursprünglich vorgesehene Passagen, die auch FGM/C kriminalisiert hätten, wurden auf Druck von einflussreichen lokalen Führungspersonen während des legislativen Prozesses wieder entfernt. |
Absichtserklärungen zum Stopp von FGM/C an Minderjährigen | 2012 | Im Jahr 2012 unterzeichneten acht der damals zwölf Distrikte Sierra Leones (Bo, Kambia, Port Loko, Kailahun, Bonthe, Pujehun, Western Area Rural, Western Area Urban) eine Absichtserklärung, die FGM/C an minderjährigen Mädchen verbot. Diese Erklärung wurde anschließend in einigen Chiefdoms (der nächstniedrigeren Verwaltungseinheit in Sierra Leone) in lokale Vereinbarungen zwischen traditionellen Führungspersonen und Beschneiderinnen/Soweis übertragen. | Fakt ist, dass diese Vereinbarungen nie in die reguläre Gesetzgebung Eingang fanden, nicht rechtsverbindlich wirken und Beschneidungen von Minderjährigen auch in den genannten Distrikten weiterhin stattfinden. |
Temporäres FGM/C-Verbot wegen Ebola | 2014 | Im Jahr 2014 erließ die sierra-leonische Regierung kurzzeitig ein landesweites Verbot von FGM/C, um die Verbreitung des Ebola-Virus einzudämmen. Einzelpersonen, die sich nicht an dieses Verbot hielten, wurden mit Geldstrafen belegt, und die Fallzahlen gingen vorübergehend deutlich zurück. | Das Verbot blieb nur in Kraft, bis die Weltgesundheitsorganisation Sierra Leone für Ebola-frei erklärte. |
Ratifizierung Maputo-Protokoll | 2015 | Das „Protokoll für die Rechte von Frauen in Afrika“, bekannt als Maputo-Protokoll, ist ein Zusatzprotokoll zur „Afrikanischen Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker“ und hat die Stärkung der Rechte von Frauen und Mädchen zum Ziel. Artikel 5b verpflichtet die Vertragsstaaten explizit dazu, gesetzlich gegen alle Formen von FGM/C vorzugehen. Sierra Leone hat das Maputo-Protokoll 2003 unterzeichnet und 2015 ratifiziert. | Seit der Ratifizierung hat Sierra Leone keinerlei Maßnahmen für das im Maputo-Protokoll explizit geforderte gesetzliche Verbot von FGM/C ergriffen. |
Nationaler Aktionsplan zur Reduzierung von FGM/C | 2016 | Das sierra-leonische Ministerium für Soziales, Gender- und Kinderangelegenheiten erklärte im Jahr 2016, gemeinsam mit strategischen PartnerInnen wie NGOs und UN-Behörden einen nationalen Aktionsplan zur Reduzierung von FGM/C erarbeitet zu haben, der unter anderem Maßnahmen zu Aufklärung und Monitoring sowie die Einrichtung eines nationalen Steuerungsausschusses für die Bekämpfung von FGM/C vorsah. | Aufgrund der politischen Kontroverse wurde das Dokument bis heute nicht vom Parlament verabschiedet und folglich auch nicht in die Praxis umgesetzt. |
Temporäres FGM/C-Verbot im Wahlkampf | 2018 | Die Strategie sierra-leonischer PolitikerInnen, Beschneidungszeremonien zu finanzieren und sich so die Wahlstimmen der begünstigten Familien zu sichern, nahm zeitweilig so extreme Ausmaße an, dass die Regierung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2018 ein temporäres FGM/C-Verbot verhängte. | Ziel dieser Maßnahme war nicht, Mädchen und Frauen vor der schädlichen Praktik zu schützen, sondern einzig die Beeinflussung des Wahlausgangs zu verhindern. Nach den Präsidentschaftswahlen 2018 endete das Verbot und wurde seitdem auch für keinen weiteren Wahlprozess repliziert. |
Die „Age of Consent”-Debatte
Die Debatte um das Vorgehen gegen FGM/C wird in Sierra Leone von zwei unterschiedlichen Ansätzen dominiert: dem „Age of Consent” (Schutz- oder Mündigkeitsalter)-Ansatz und dem „Zero Tolerance” (Null Toleranz)-Ansatz. Ersterer fordert ein FGM/C-Verbot lediglich für Mädchen unter 18 Jahren – volljährigen Frauen hingegen sollte die Möglichkeit gegeben werden, sich für den Eingriff zu entscheiden. Der Null Toleranz-Ansatz spricht sich stattdessen für ein vollständiges FGM/C-Verbot ungeachtet des Alters aus.
TW: Dieses Video enthält Schilderungen von Todesfällen infolge von FGM/C (nicht explizit beschrieben)
Sierra-leonische PolitikerInnen, die sich überhaupt kritisch zu FGM/C äußern, fokussieren sich in der Regel auf den „Age of Consent“-Ansatz und formulieren ihre Sorge als Kinderschutzfrage, zumal FGM/C in der sierra-leonischen Kultur meist mit Heiratsfähigkeit gleichgesetzt wird und die Forderung nach Volljährigkeit beim Eingriff somit dazu beitragen soll, Teenagerheiraten und -schwangerschaften zu vermeiden und den Mädchen einen längeren Schulbesuch zu ermöglichen. Obwohl der beschriebene Zusammenhang zwischen FGM/C und Frühverheiratung zweifellos besteht, versäumt diese Darstellung in der Regel, die grundsätzlichen Gefahren und Folgeschäden von FGM/C zu beleuchten, die alle Mädchen und Frauen völlig unabhängig ihres Alters betreffen.
Der „National Sowei Council“ als politische Vertretung der Beschneiderinnen hat sich im Rahmen der erbitterten Diskussionen um die allgemeine Zulässigkeit von FGM/C zum „Age of Consent“-Ansatz als vermeintlicher Kompromisshaltung durchgerungen und seine Mitglieder zumindest offiziell aufgefordert, junge Frauen nur noch mit Erreichen der Volljährigkeit zu beschneiden. Die Praxis zeigt jedoch, dass FGM/C an Minderjährigen nach wie vor regelmäßig vorkommt und die große Mehrheit der Soweis sich nicht an die Altersregelung gebunden fühlt.
Die „Age of Consent”-Debatte spaltet auch die sierra-leonische NGO-Landschaft, da eine Reihe von Organisationen ebenfalls diesen Ansatz vertritt. Die TDF-Partnerorganisation AIM spricht sich jedoch, gemeinsam mit vielen anderen NGOs, klar für eine Null Toleranz-Haltung aus. Sie betonen, dass die Konsequenzen von FGM/C keine Rücksicht auf Altersgrenzen nehmen, und verweisen auf die immer wieder vorkommenden Todesfälle auch bei volljährigen Frauen. Hinzu kommt, dass angesichts der in weiten Teilen der Gesellschaft noch immer vorherrschenden Tabuisierung von FGM/C sowie des immensen sozialen Drucks, der Bondo Society beizutreten und damit auch die Beschneidungsrituale zu durchlaufen, eine tatsächlich informierte und selbstbestimmte Entscheidung für FGM/C kaum möglich erscheint.
Juristische Verfolgung
Da FGM/C in Sierra Leone noch immer nicht gesetzlich verboten ist, ist eine potentielle strafrechtliche Verfolgung nur dann denkbar, wenn die Beschneidung unter körperlichem Zwang und explizit gegen den Willen der Betroffenen stattfindet – ein Umstand, der angesichts der absoluten Geheimhaltung aller Vorgänge im Bondo-Busch kaum je nachzuweisen ist – oder Komplikationen tödlich enden. Doch selbst in diesen Fällen ist der Weg, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen und eine tatsächliche Verurteilung zu erreichen, lang und steinig.
Dies liegt vor allem an der einflussreichen und auch überregional gut vernetzten Bondo Society, die nicht zögert, ihr gesellschaftliches und politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen, um Druck auf eine Vielzahl von AkteurInnen auszuüben und so ihre Mitglieder zu schützen. So ist es schon vorgekommen, dass Polizeistationen nach Festnahmen von Soweis nicht nur von deren ortsansässigen Kolleginnen, sondern auch von Soweis aus anderen Distrikten aufgesucht und landesweite Proteste angedroht wurden, woraufhin die Tatverdächtigen wieder auf freien Fuß kamen und weitere Strafverfolgung ausblieb. Wenn geschädigte Personen die Bondo Society verklagen, wird die Klage in der Regel von den Gerichten abgewiesen. Oft kommt es gar nicht erst zur Verhandlung, da die entsprechenden Fälle immer wieder ohne stichhaltige Begründung aufgeschoben werden oder relevante Akten verschwinden. Einige Fälle werden unter dem Vorwand abgewiesen, dass sie die Sicherheit des Staates verletzen könnten. Die Einschüchterung von KlägerInnen und ZeugInnen ist ebenfalls eine gängige Strategie der Bondo Society.
Quelle: The Guardian
Gegen FGM/C arbeitende NGOs, allen voran der Dachverband „Forum Against Harmful Practices“ (FAHP, dt. Forum gegen schädliche Praktiken), dessen Vorsitz die TDF-Partnerorganisation AIM innehat, kämpfen gegen diese Widerstände an. Ihr Ziel ist es, mindestens eine erfolgreiche Verurteilung zu erreichen und damit einen Präzedenzfall zu schaffen, der die zukünftige juristische Verfolgung von Todesfällen nach FGM/C erleichtert. Zu diesem Zweck unterstützt das FAHP zurzeit etwa die laufenden Verfahren zu drei im Dezember 2023 nach FGM/C verstorbenen minderjährigen Mädchen sowie der im Dezember 2021 ums Leben gekommenen 21-jährigen Maseray Sei. Für letztere hatte sogar ein Autopsie-Bericht FGM/C als Todesursache bestätigt, dennoch kam der Fall zunächst nicht vor Gericht. Der zuständige Richter behauptete, ein Wort im medizinischen Bericht sei nicht verständlich gewesen, und verweigerte die Verfahrensaufnahme. Mit Unterstützung des FAHP konnte der Fall schließlich an eine höhere gerichtliche Instanz übergeben werden, deren Entscheidung noch aussteht.
Zivilgesellschaftliche Vernetzung
Organisationen wie AIM haben mit ihrer Pionierarbeit das Schweigen zu dem traditionell tabuisierten Thema FGM/C gebrochen. Trotz anhaltender Widerstände aus Politik und Gesellschaft gibt es in Sierra Leone inzwischen eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Gruppen, die sich offen gegen FGM/C engagieren. Das Bestreben, diese Organisationen enger miteinander zu vernetzen, Synergieeffekte zu schaffen und mit vereinten Kräften gegen FGM/C in Sierra Leone eintreten zu können, mündete im Jahr 2014 schließlich in die Gründung des „Forum Against Harmful Practices“ (FAHP, dt. Forum gegen schädliche Praktiken). Inzwischen hat dieser Dachverband rund 26 Mitgliedsorganisationen, einen siebenköpfigen Vorstand (AIM-Gründerin und -Leiterin Rugiatu Turay ist Vorstandsvorsitzende) und eine Geschäftsstelle mit 11 hauptamtlichen MitarbeiterInnen.
Das FAHP betreibt Fundraising für die Projekte seiner Mitgliedsorganisationen, umfassende Forschung und Öffentlichkeitsarbeit zum Thema FGM/C und setzt sich auf politischer Ebene für ein gesetzliches Verbot der Praktik sowie die strafrechtliche Verfolgung durch FGM/C verursachter Todesfälle ein. Eine zentrale Position des FAHP besteht darin, dass sich alle Mitgliedsorganisationen zum „Zero Tolerance“-Ansatz bekennen müssen, d.h. zur Forderung eines vollständigen Verbots von FGM/C, und nicht, wie von weiten Teilen der sierra-leonischen Politik und auch einigen NGOs vertreten, eines ausschließlich auf Minderjährige bezogenen Verbots („Age of Consent“-Ansatz).
Hier erzählt FAHP-Geschäftsführerin Aminata Koroma mehr zur Geschichte, den Aktivitäten und Zielen des Forums:
TW: Dieses Video enthält Schilderungen von Todesfällen infolge von FGM/C (nicht explizit beschrieben)